Warum wir über Geld reden müssen
Viele Menschen in Erftstadt sind genervt oder besorgt, wenn es um das Thema Stadtfinanzen geht. Sie fragen sich: Wer soll das alles bezahlen? Werden die Steuern noch weiter steigen? Werden Zuschüsse gekürzt, Vereine belastet, Gebühren erhöht? Was ist in Zukunft mit den Kita-Beiträgen? Ganz ehrlich: Diese Sorgen sind berechtigt, denn die Finanzlage unserer Stadt ist ganz offensichtlich nicht nur ein Schönheitsfehler. Sie ist das Ergebnis von Jahren, in denen wir uns mit zu wenig Klarheit, zu viel Wunschdenken und einer fatalen Kurzsichtigkeit durchgewurschtelt haben.
Ich werde immer wieder gefragt: „Wie willst du die Finanzen denn wieder hinbekommen?“ Eine sehr gute und kurze Frage und viele erwarten darauf eine ebenso kurze, fertige Antwort. Die kann ich in dieser Form nicht liefern, jedenfalls nicht, wenn ich seriös bleiben möchte. Ich will hier aber so transparent wie möglich erklären, wie ich die Lage sehe und welche ersten Ideen, Überlegungen und Impulse ich dazu habe.
Klar ist dabei auch: Vor einer Wahl kann das kein fertiger Maßnahmenkatalog sein, den man einfach Punkt für Punkt abhaken könnte. Wer das verspricht, verkauft Illusionen. Politik bedeutet Verantwortung. Und Verantwortung heißt auch, gemeinsam mit anderen tragfähige Lösungen zu entwickeln und die Dinge offen und nachvollziehbar zu steuern. Es geht nicht darum, Patentrezepte zu versprechen, sondern Lösungskompetenz zu zeigen und Prozesse offen zu gestalten.
Bevor wir darüber reden können, was zu tun ist, müssen wir uns eingestehen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Und das heißt auch: endlich ehrlich über die Zahlen, die Ursachen und die politischen Entscheidungen der letzten Jahre zu sprechen.
Zahlen lügen nicht
Unser Haushalt steht nicht nur schief, er ist massiv einsturzgefährdet. Die Kommune gibt mehr aus, als sie einnimmt, Jahr für Jahr. Es geht nicht um ein bisschen Minus, sondern um zweistellige Millionenbeträge. Gleichzeitig schmilzt unser Eigenkapital weg wie Schnee in der Sonne. Wer das kleinredet oder ignoriert, macht sich mitschuldig daran, dass wir die Handlungsfähigkeit unserer Stadt und die Zukunftschancen der nächsten Generationen gefährden. Und das ist nicht nur meine persönliche Einschätzung, denn die Kommunalaufsicht hat uns das nach dem ersten Haushaltsentwurf 2024/2025 auch schriftlich und schonungslos attestiert.
Die nackten Zahlen zeigen sehr deutlich, wie groß das Problem wirklich ist. Der erste Haushaltsentwurf für 2024/2025 rechnete mit einem Fehlbedarf von über 10 Mio. Euro in 2024 und fast 12 Mio. Euro in 2025. Jedes Jahr. Dazu sollte das Eigenkapital der Stadt über mehrere Jahre um über 40 Mio. Euro, also rund 72%, abgeschmolzen werden. Die Kommunalaufsicht hat uns das so auch schriftlich bescheinigt und den Entwurf klar abgelehnt.
Die Begründung war eindeutig: Unser Haushalt war nicht ausgeglichen und auch in der mittelfristigen Planung bis 2028 war keine Trendwende erkennbar. Die Kommunalaufsicht sah „die stetige Erfüllung unserer kommunalen Aufgaben als gefährdet“ und bezweifelte die langfristige Zahlungsfähigkeit. Mit anderen Worten: Wir hätten auf Kosten künftiger Generationen weitergemacht, unser Eigenkapital fast vollständig aufgezehrt und wären gegen die Wand gefahren.
Vielleicht noch ein Wort dazu, was „Eigenkapital“ in diesem Zusammenhang eigentlich bedeutet. Es ist so etwas wie das finanzielle Polster unserer Stadt, dass sicherstellen soll, dass wir auch in schwierigen Jahren handlungsfähig bleiben. Ganz konkret besteht es bei uns vor allem aus Grundstücken und Immobilien, also aus Vermögen, das wir im Bedarfsfall nutzen, veräußern oder belasten könnten. Je mehr davon verbraucht oder abgeschrieben wird, desto weniger Stabilität und Spielraum haben wir in Zukunft. Wer das Eigenkapital heute aufbraucht, nimmt den kommenden Jahren jede Möglichkeit, auf finanzielle Krisen oder neue Herausforderungen reagieren zu können.
Erst im zweiten Anlauf wurde der Haushalt genehmigt, allerdings nur, weil die Politik und die Stadt ein umfangreiches Haushaltssicherungskonzept (HSK) vorgelegt haben. Dieses schreibt uns nun jahrelange Sparzwänge, strukturelle Prüfungen und auch deutliche Steuererhöhungen vor. Zum Beispiel liegt der geplante Hebesatz der Grundsteuer B ab 2026 bei 980%. Ehrlich gesagt: Das ist eine massive Belastung für alle, die hier leben. Aber es ist das Ergebnis einer Finanzpolitik, die über Jahre auf Verschieben, Vertagen und Schönrechnen gesetzt hat.
Die Ursachen für diese Schieflage sind divers. Einerseits haben wir hohe Pflichtaufgaben, deren Kosten uns Bund und Land immer wieder aufbürden, insbesondere im Sozialbereich, bei Schulen und Kitas. Andererseits ist die Verwaltung selbst über Jahre nicht modern genug aufgestellt worden, um effizienter zu arbeiten und Prioritäten konsequent umzusetzen. Auch die Investitionen in den Wiederaufbau nach der Flut sind natürlich ein Faktor, aber sie erklären nicht das ganze Problem.
Wer hier einfache Schuldzuweisungen verteilt, macht es sich zu leicht. Aber wir müssen benennen, dass es in der Vergangenheit eine Mischung aus falschen Annahmen, politischen Wunschprojekten ohne solide Gegenfinanzierung und mangelnder Priorisierung gab. Wer heute seriös über Lösungen reden will, muss das anerkennen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.
Wieso, weshalb, warum
Die Probleme sind größtenteils bekannt und trotzdem wurden sie anscheinend viel zu lange verdrängt oder schöngeredet. Ehrlich gesagt muss man festhalten: Wir haben als Kommune kein größeres Einnahmenproblem im engeren Sinn. Die Steuern und Umlagen entwickeln sich durchaus solide. Aber wir haben ein massives Strukturproblem auf der Ausgabenseite und in unserer Finanzplanung.
Ein zentraler Punkt ist die Kostenentwicklung bei den Pflichtaufgaben. Die Sozial- und Jugendhilfekosten sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, das steht so auch im Haushaltsplan und im HSK. Diese Ausgaben sind nicht freiwillig, sie sind gesetzlich vorgeschrieben und in Teilen auch von Land und Bund verursacht, ohne dass die Kosten vollständig gegenfinanziert werden. Hier werden die Kommunen seit Jahren systematisch im Stich gelassen. Auch die Kreisumlage und die Umlage für den öffentlichen Personennahverkehr sind ein echter Belastungsfaktor. Allein hier reden wir über Summen in Millionenhöhe, die sich regelmäßig anpassen und für die wir als Stadt kaum eigene Steuerungsmöglichkeiten haben. Im HSK wird klar beschrieben, dass hier eine Entlastung durch Bund und Land dringend notwendig wäre.
Gleichzeitig müssen wir auch selbstkritisch bleiben: Die Stadt hat über Jahre Prioritäten gesetzt, die nicht dauerhaft finanzierbar waren. Es wurden Projekte angeschoben, die über das Pflichtmaß hinausgingen, ohne dass die langfristigen Kosten klar gegenfinanziert waren. Und nicht überall wurde ausreichend gesteuert und geprüft, ob sich die Stadt das wirklich leisten kann. Ein weiteres Thema sind die Investitionen. Die Flutfolgen sind ein Sonderfaktor und rechtfertigen erhebliche Ausgaben, das bestreitet niemand, aber auch hier gilt: Nicht alles wird durch den Wiederaufbaufonds gedeckt, und die Stadt muss Eigenanteile aufbringen. Gerade bei Projekten, die nicht zwingend erforderlich sind, müssen wir künftig viel strenger abwägen, ob wir sie uns leisten können.
Ganz ehrlich: Wer heute sagt, dass man das alles ohne Priorisierung und ohne harte Entscheidungen lösen kann, sagt nicht die Wahrheit. Wir brauchen ein klares Bekenntnis dazu, dass wir freiwillige Leistungen überprüfen müssen, dass wir Verwaltung modernisieren müssen und dass wir alle großen Projekte auf ihre Finanzierbarkeit abklopfen müssen. Sonst bleibt auch das beste Konzept Makulatur.
Meine Grundsätze für eine ehrliche Finanzpolitik
Mir ist wichtig, dass wir über diese Lage nicht nur reden, sondern auch klarmachen, was eine seriöse Finanzpolitik in dieser Situation überhaupt leisten kann. Und eben auch was nicht. Ich verspreche nicht das Blaue vom Himmel. Ich verspreche aber, dass ich mich nicht wegducken werde, wenn es ungemütlich wird. Wir brauchen in Erftstadt eine Finanzpolitik, die sich auf einige Grundsätze verpflichtet.
- Ehrlichkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Wir dürfen nicht länger so tun, als könnten wir alle Wünsche erfüllen, ohne uns um die Finanzierung zu kümmern. Wer Konsolidierung will, muss auch sagen, was das bedeutet: für Steuern, Gebühren, Leistungen und Investitionen.
- Transparenz in den Entscheidungen. Ich will offenlegen, wo wir sparen können, wo wir müssen und wo wir wollen. Dazu gehört auch, die Wirkung auf Vereine, Ehrenamt, soziale Angebote klar zu benennen und mit den Menschen zu besprechen. Konsolidierung darf kein Akt im Hinterzimmer sein.
- Konsequente Priorisierung. Wir werden nicht alles gleichzeitig machen können. Pflichtaufgaben haben Vorrang. Was darüber hinausgeht, muss besonders begründet werden. Das heißt auch, dass wir Projekte und Ideen, die wünschenswert, aber nicht finanzierbar sind, ehrlicherweise vertagen oder streichen müssen.
- Modernisierung und Effizienz in der Verwaltung. Das HSK beschreibt dazu viele richtige Punkte. Wir brauchen einfachere Prozesse, bessere Digitalisierung, eine straffere Steuerung, und zwar nicht, um Personal „wegzusparen“, sondern um die Verwaltung zukunftsfähig und bezahlbar zu halten.
- Klares Bekenntnis zur Zusammenarbeit. Ob mit dem Kreis, mit anderen Kommunen, mit den Fraktionen im Stadtrat oder mit den Bürgerinnen und Bürgern: Wir werden es nur schaffen, wenn wir Kooperation nutzen und gemeinsam Verantwortung tragen. Allein die Schuld beim Bund und Land zu suchen, wird uns nicht helfen, aber wir müssen deren Verantwortung trotzdem deutlich einfordern.
Diese Punkte sind keine fertige Liste von Sparmaßnahmen. Aber sie sind für mich die Grundlage, auf der wir als Stadtpolitik überhaupt ernsthaft und glaubwürdig über Lösungen reden können.
Was bedeutet das nun konkret für uns alle
Ich will nicht nur über Prinzipien reden, sondern auch darüber, was das für uns alle bedeutet. Für Verwaltung, Politik und die Menschen in Erftstadt. Klar ist: Ohne Prioritäten und Veränderungen geht es nicht. Aber wir können den Weg gestalten.
- Strikte Haushalts- und Investitionsdisziplin. Keine neuen Prestigeprojekte ohne Gegenfinanzierung. Jede Investition wird geprüft: Pflicht oder Wunsch? Der Doppelhaushalt 2024/25 sieht Investitionen von über 40 Mio. Euro (inkl. Eigenbetriebe und Wiederaufbau) vor, das sind rund 20 Mio. Euro pro Jahr, etwa für Schulen, Straßen, Flutwiederaufbau. Vieles davon ist Pflicht, aber eben nicht alles. Für die Verwaltung bedeutet das, klare Prioritätenlisten zu führen. Für die Politik: offen sagen, was jetzt nicht geht. Für die Bürgerinnen und Bürger: Mehr Klarheit darüber, wofür wir Geld ausgeben und wofür nicht.
- Effizienzoffensive Verwaltung. Abläufe digitalisieren, Prozesse verschlanken, Ressourcen besser einsetzen. Das HSK verpflichtet uns dazu. Der „globale Minderaufwand“ ist schon mit 3,3 Mio. Euro pro Jahr im Plan hinterlegt, den müssen wir titelgenau umsetzen. Für die Mitarbeitenden heißt das nicht „Personal wegkürzen“, sondern klügere Organisation. Für alle: Weniger Wartezeiten, langfristig weniger Kosten.
- Einnahmen ohne Steuerkeule steigern. Ja, der Hebesatz der Grundsteuer B soll laut HSK ab 2026 auf 980% steigen. Das belastet alle. Das HSK setzt diesen Satz als Zielrahmen fest, weil unser Haushalt seit Jahren erhebliche Defizite aufweist und wir damit etwa auf das Niveau vieler vergleichbarer NRW-Städte kämen. Aber wir können und müssen andere Einnahmen heben: Fördermittel gezielt einwerben, Flächen klug vermarkten, Gebühren kostendeckend kalkulieren. Die FH-Campus-Entwicklung etwa könnte ab 2027 gut 1 Mio. Euro zusätzliche Steueranteile bringen (konservative Modellrechnung, IHK-Faktor), durch neue Studierende, Arbeitsplätze und Unternehmen. Für die Menschen bedeutet das: Mehr Spielraum im Haushalt, ohne sofort an der Steuerschraube zu drehen.
- Sozial- und Freiwilligenausgaben intelligent steuern. Nicht alles streichen, sondern genau hinsehen. Die Sozialaufwendungen sind Pflichtaufgaben, die wir erfüllen müssen, aber sie wachsen Jahr für Jahr. Im Doppelhaushalt sind allein über 64 Mio. Euro pro Jahr dafür veranschlagt, darunter Jugendhilfe, Sozialhilfe und Eingliederungshilfe. Wir können nicht alles verhindern, was von Bund und Land kommt, aber wir müssen offen über Prioritäten sprechen. Für die Verwaltung heißt das Transparenz und Wirkungskontrolle. Für Vereine und Einrichtungen: Planungssicherheit, wenn sie Teil eines tragfähigen Plans sind.
- Altschuldenentlastung offensiv nutzen. Wir machen unsere Hausaufgaben, damit Erftstadt ab 2026 von der NRW-Hilfe profitieren kann, bis zur Hälfte unserer Liquiditätskredite (aktuell fast 60 Mio. Euro) könnte übernommen werden. Das senkt die Zinslast von derzeit über 2 Mio. Euro jährlich. Für die Stadt: Mehr finanzieller Spielraum. Für die Menschen: Weniger Druck auf Gebühren und Steuern.
- Grundsteuer B-Erhöhung nur als letztes Mittel. Die Aufsicht hat 980% ab 2026 als Zielrahmen gesetzt. Aber wir müssen alles tun, um das abzumildern. Dafür brauchen wir Transparenz über Ausgaben, mutige Prioritäten und andere Einnahmequellen. Für die Menschen bedeutet das: Eine faire Chance, nicht allein die Zeche zu zahlen.
- Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Mit dem Kreis über Umlagen reden. Mit Nachbarkommunen kooperieren, um Kosten zu teilen. Mit dem Rat Prioritäten setzen. Für die Verwaltung heißt das bessere Abstimmung. Für die Menschen: Politik ohne Grabenkämpfe, die das Problem wirklich löst.
- Immobilienmanagement modernisieren. Grundstücke und Gebäude sind unser Eigenkapital. Es macht aktuell nur ca. 17% der Bilanzsumme aus, während vergleichbare Städte in NRW im Schnitt fast 48 % erreichen. Wir müssen dieses Vermögen schützen, strategisch steuern und gezielt nutzen. Für die Verwaltung bedeutet das professionelles Controlling. Für die Menschen: Vermögen, das auch künftige Investitionen möglich macht.
Messbarer Zielpfad für Erftstadt
Damit das nicht nur Worte bleiben, will ich einen klaren, überprüfbaren Zielpfad vorschlagen:
- Bis Ende 2027: ein ausgeglichener Ergebnisplan (gesetzlich gefordert nach § 75 GO NRW), Liquiditätskredite deutlich unter 50 Mio. Euro (aktuell liegen sie bei knapp 60 Mio. Euro, genehmigter Rahmen 70 Mio. Euro) und die Eigenkapitalquote wieder über 20%.
- Ab 2028: struktureller Überschuss von mindestens 1% der ordentlichen Aufwendungen, damit wir wieder eigene Spielräume gewinnen.
- Bis 2030: Liquiditätskredite weiter abbauen auf höchstens 35 Mio. Euro, Eigenkapitalquote Richtung 25% steigern.
- Grundsteuer B: Jede künftige Anpassung kritisch prüfen, Ziel bleibt eine Senkung unter die aktuell vorgesehenen 980%, sobald der Haushalt stabilisiert ist.
Das sind keine Versprechen ohne Gegenfinanzierung, sondern realistische Etappen, die wir gemeinsam erreichen können, wenn Politik und Verwaltung klar und transparent zusammenarbeiten.
Kein leichter, aber ein ehrlicher Weg
Mir ist klar: All das klingt nicht nach schnellen Erfolgen oder bequemen Lösungen. Und genau das ist die Wahrheit. Haushaltskonsolidierung bedeutet nicht nur Zahlenkolonnen und Genehmigungsbescheide, sondern Entscheidungen, die Menschen spüren werden. Es bedeutet Abwägen, Streiten, Priorisieren und immer wieder neu erklären, warum es so sein muss.
Ich bin überzeugt, dass wir diesen Weg gehen können. Aber nur, wenn wir aufhören, uns selbst etwas vorzumachen. Ehrlichkeit ist keine Schwäche in der Politik. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir Vertrauen zurückgewinnen und gemeinsam tragfähige Lösungen entwickeln. Alles andere wäre eine Einladung zum nächsten Finanzdesaster.