Tacheles von Thommy #08 – Wasser ist kein Geschäftsmodell!

Seit die UN-Vollversammlung 2010 den Anspruch auf „sichere und saubere“ Trinkwasserversorgung zum Menschenrecht erklärt hat, ist jede Debatte über Renditeziele und Profitmaxoimierung in diesem Bereich eigentlich erledigt. Wasser ist Daseinsvorsorge, Punkt. Wer die Ressource dennoch als Handelsware begreift, ignoriert die völkerrechtliche Klarstellung, dass Wasser zuerst Lebenserhaltungs- und erst danach Wirtschafts­faktor ist (1).

In Erftstadt hängt eben dieses Menschenrecht demnächst buchstäblich an einem einzigen Hahn: dem Wasserwerk Dirmerzheim. Sobald die Sümpfungen des Braunkohletagebaus enden, bleiben von heute fünf Werken genau null Alternativen, Dirmerzheim wäre dann alleiniger Versorger für Bedburg, Bergheim, Elsdorf, Kerpen, Erftstadt und Teile von Titz, zusammen fast eine halbe Million Menschen (2). Dabei erfüllt die Anlage längst die Schwelle zur Kritischen Infrastruktur. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zieht diese Grenze bei 500.000 versorgten Personen bzw. 22 Millionen Kubikmetern Jahresproduktion, Dirmerzheim kratzt an beiden Größenordnungen. Kritische Infrastruktur heißt: staatliche Vorsorgepflicht und Transparenz, nicht Konzerngeheimnis (3).

Und jetzt zu einem Szenario, das die Stadtverwaltung beharrlich verdrängt: Es gibt bis heute weder einen Notfallplan für einen Ausfall des Werks, noch eine Rangfolge, welche Ortsteile im Ernstfall zuerst mit Tankwagen bedient würden. Keine alternative Brunnengalerie, keine Übersicht potenzieller Kontaminationsquellen im Altbergbaugebiet, kurz: kein Plan, keine Netzreserve. Wie verletzlich das System ist, zeigte sich am 16. Dezember 2023, als eine Hauptleitung barst. Durch den Druckabfall fielen gleich sechs weitere Leitungsstränge, mehrere Stadtteile waren stundenlang trocken, die Feuerwehr brachte Wasser in Fässern (4). Die Reparatur dauerte Tage, dabei lief das Werk selbst weiter. Stellen Sie sich vor, der Schaden träfe direkt die Aufbereitung oder die Brunnenanlage.

Rechnen wir einmal ganz nüchtern: Dirmerzheim produziert maximal 11.000m³ pro Tag. Bei einem regionalen Verbrauch von 141 Litern pro Kopf und Tag reicht das Wasser für 78.000 Menschen, jedenfalls in der Theorie. Fällt die Anlage nur 48 Stunden aus, fehlen über 20.000m³ (5, 6). Das entspricht rund 10.000 Tanklastzügen mit je 20m³. Diese Logistik ist schlicht unmöglich. Und spätestens hier müsste die Stadt handeln. Doch seit dem Ratsantrag von 2019, der den Rückkauf des Werks forderte (7), herrscht Funkstille: keine Machbarkeitsstudie, kein Finanzierungsrahmen, nicht einmal ein ergebnisoffenes Gespräch mit RWE Power. Währenddessen investiert der Konzern brav 15 Millionen Euro in neue Filterkessel. Eine kosmetische Investition, die an den Eigentumsverhältnissen gar nichts ändert.

Dass Rekommunalisierung wirkt, zeigt Berlin: Nach dem Ausstieg der Privatinvestoren 2013 sanken die Tarife binnen eines Jahres um mehr als 15 Prozent, weil Gewinne wieder in die Infrastruktur statt in Ausschüttungen flossen (8, 9). Das Gegenbeispiel liefert Großbritannien: Thames Water steht mit 20 Milliarden Pfund Schulden vor der Zwangsverstaatlichung (10) weil Kosten und Risiken sozialisiert wurden, während private Investoren Jahrzehnte lang Rendite kassierten.

Ehrlich jetzt: Wer nach der Flut 2021, den Dürresommern seit 201 und dem beschriebenen Rohrbruch noch glaubt, eine Ein-Werk-Strategie unter Konzernflagge sei akzeptabel, verkennt die Lage. Wir brauchen dringend Sofortmaßnahmen:

  • Rekommunalisierung: sofortige Kaufverhandlungen und transparente Offenlegung der Vertragskonditionen.
  • Redundanz: Planung einer zweiten Brunnengalerie plus vertraglich gesicherte Spitzenlieferungen aus Nachbargebieten.
  • Krisenvorsorge: ein öffentlich zugänglicher Notfallplan, der Versorgungsränge, Tankstellen­standorte und Zeitachsen klar regelt.

Es geht, wenn denn der politische Wille da wäre sich des Themenkomplexes anzunehmen. Aber wir sind halt in Erftstadt, hier wird nur verwaltet. Notfalls auch der Notfall.

Wasser gehört uns allen. Lassen wir nicht zu, dass unternehmerische Rendite über elementare Sicherheit triumphiert.

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Recht_auf_Zugang_zu_sauberem_Wasser

(2) https://www.gruene-regionalrat.koeln/newsletter/wasserwerk-dirmerzheim/

(3) https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/Regulierte-Wirtschaft/Kritische-Infrastrukturen/KRITIS-in-Zahlen/kritis-in-zahlen.html

(4) https://www.radioerft.de/artikel/erftstadt-wasser-ist-wieder-da-1853992.html

(5) https://erftstadtwiki.de/wiki/Wasserwerk_Dirmerzheim

(6) https://vsr-gewaesserschutz.de/regionales/nordrhein-westfalen/rhein-erft-kreis/grundwasser

(7) https://gruene-erftstadt.de/ruckkauf-des-wasserwerks-dirmerzheim

(8) https://www.tagesspiegel.de/berlin/ruckkauf-der-rwe-anteile-fast-perfekt-2222635.html

(9) https://www.tagesspiegel.de/berlin/wasser-wird-noch-einmal-17-prozent-billiger-6928369.html

(10) https://www.ft.com/content/7e22ff82-6c13-46ff-96d7-d344e7efbee9

Thommy Mewes
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