Tacheles von Thommy #06 – Erftstadt in der Wohnraumkrise

Jetzt ist es offiziell – und niemand kann mehr behaupten, er hätte es nicht kommen sehen: Erftstadt ist laut neuer Mieterschutzverordnung des Landes NRW als Kommune mit „angespanntem Wohnungsmarkt“ eingestuft worden. Erstmals. Und diese Einstufung kommt nicht aus einem Gefühl heraus, sondern basiert auf harten Zahlen: Das Land Nordrhein-Westfalen hat eine umfangreiche Untersuchung vorgelegt, die für Erftstadt eine kritische Punktzahl in gleich mehreren Kategorien belegt. Konkret: überdurchschnittlich hohe Angebotsmieten, steigende Baulandpreise und eine hohe Mietbelastung (1).

Das Gutachten zur Gebietskulisse zeigt, wie dramatisch die Situation wirklich ist: Erftstadt erreicht fünf von neun möglichen Punkten im Bewertungssystem und erfüllt damit eindeutig die Voraussetzungen für Maßnahmen wie Mietpreisbremse, Kappungsgrenze und verlängerte Kündigungssperrfristen. Doch diese Eingriffe sind nichts weiter als Flickwerk – sie können die eigentlichen Ursachen nicht beseitigen: Der Wohnungsbau wurde in den letzten Jahren schlichtweg nicht mit der nötigen Priorität verfolgt. Was wir jetzt sehen und erleben, ist die Quittung dafür.

Aber das ist nur die eine Seite der Geschichte – parallel dazu liegt der Quartalsbericht des Fachdienstes Migration und Integration vor – und auch hier schlägt die Unterbringungssituation für Geflüchtete Alarm (2). Rund 317 Plätze in den Gemeinschaftsunterkünften sind durch anerkannte Geflüchtete belegt, die längst eine Wohnung beziehen könnten, wenn denn ausreichend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung stünde. Die Verwaltung selbst gibt zu, dass der Bedarf an rund 400 zusätzlichen Wohnungen allein für diese Gruppe besteht. Und als ob das nicht deutlich genug wäre, lohnt auch ein Blick in den Demografie- und Sozialbericht 2022 der Stadt Erftstadt selbst: Schon dort wird klar benannt, dass Erftstadt seit Jahren kontinuierlich wächst – insbesondere durch positive Wanderungssalden und Zuzüge, verstärkt durch die Nähe zu Köln und Bonn (3). Gleichzeitig zeigt der Bericht aber auch auf, dass die soziale Infrastruktur – und insbesondere der Wohnungsmarkt – diesem Wachstum nicht hinterherkommt. Besonders alarmierend: Die steigende Zahl an Single- und Kleinhaushalten, die hohe Kinder- und Jugendquote und die deutlichen Hinweise auf vulnerable Gruppen verdeutlichen einen Bedarf an bezahlbarem, passenden Wohnraum, der längst strukturell erkennbar war – und dennoch ignoriert wurde.

Ehrlich jetzt, wer den sozialen Frieden und die Integrationsfähigkeit unserer Stadt sichern will, kann dieses Thema nicht länger auf die lange Bank schieben. Denn wenn wir so weitermachen, droht uns das gleiche Szenario wie in der Vergangenheit: Die Schließung von Sporthallen als Notlösung für die Unterbringung Geflüchteter. Das wäre nicht nur ein Armutszeugnis für die Stadtpolitik, sondern auch ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen, die hier wohnen, arbeiten, ihre Kinder großziehen – oder nach Flucht und Vertreibung endlich ankommen wollen.

Die jetzige Stadtspitze hat es in den vergangenen Jahren verpasst, rechtzeitig gegenzusteuern. Statt eines vorausschauenden und ambitionierten Wohnraumprogramms haben wir Flickschusterei erlebt. Jetzt, da das Land uns den Spiegel vorhält, bleibt die Frage: Was muss noch passieren, damit in Erftstadt endlich konsequent gehandelt wird?

Und wie könnten wir aus dieser Schieflage herauskommen?

Erftstadt braucht zuallererst ein verbindliches Wohnraumkonzept mit klaren Zielzahlen für bezahlbaren Wohnraum, sozialen Wohnungsbau und Flüchtlingsunterkünfte. Dieses Konzept muss verbindlich beschlossen, jährlich überprüft und transparent veröffentlicht werden – kein weiteres Stückwerk mehr, sondern eine belastbare Grundlage für politisches Handeln.

Darüber hinaus ist eine aktive Baulandpolitik überfällig. Die Stadt muss gezielt Grundstücke für sozialen Wohnungsbau ausweisen und eigene Flächen strategisch entwickeln. Ohne konkrete Vorgaben wird das nicht gelingen. Wer weiterhin allein auf den freien Markt setzt, ignoriert die Realität.

Parallel dazu müssen bürokratische Hürden fallen. Baugenehmigungsverfahren, insbesondere für sozialen und gemeinwohlorientierten Wohnungsbau, sind zu entschlacken und zu beschleunigen. 

Eine weitere Möglichkeit liegt in der besseren Nutzung von bestehendem Wohnraum. Der Stadtplaner Daniel Fuhrhop argumentiert in seinem Buch „Verbietet das Bauen!“ (4), dass Neubauten oft Ressourcen verschwenden und stattdessen bestehender Wohnraum aktiviert werden sollte – etwa durch Programme wie „Wohnen für Hilfe“ oder finanzielle Unterstützung bei der Schaffung von Einliegerwohnungen. Solche Ansätze könnten auch in Erftstadt geprüft werden.

Und schließlich braucht es einen dauerhaften Runden Tisch „Wohnen in Erftstadt“. Verwaltung, Politik, Wohnungswirtschaft, Sozialverbände und Bürgerschaft müssen regelmäßig zusammenkommen, um konkrete Lösungen gemeinsam zu entwickeln – nicht nebeneinanderher, sondern gemeinsam in Verantwortung.

Finanzielle Rahmenbedingungen beachten

Neben all diesen Maßnahmen darf man jedoch nicht außer Acht lassen: Die finanzielle Lage der Stadt Erftstadt könnte ambitionierte Pläne erschweren. Die Haushaltslage ist nach wie vor angespannt. Ohne klare Prioritätensetzung wird es schwer sein, notwendige Investitionen in den Wohnungsmarkt umzusetzen.

Was es jetzt braucht, ist Mut zur Entscheidung.

Wer jetzt noch glaubt, man könne die Wohnraumsituation in Erftstadt mit ein paar Alibi-Projekten lösen, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Wir brauchen endlich den politischen Willen, dieses Thema zur Priorität zu machen – ohne Ausflüchte, ohne Verschieben auf später. Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen. 

(1) https://ratsinfo.erftstadt.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZVTT8B36j4XupLy1i2elMoPm4FzkZOcSxPjQZJtq3MR2/Mitteilungsvorlage_51-2025.pdf

(2) https://ratsinfo.erftstadt.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZRwZvz7BdKkRz3j8UuVWd3lc4JD7IJymzOLVTeu1dNvC/Beschlussvorlage_90-2025.pdf  

(3) https://www.erftstadt.de/jugendamt/Demografie-und-Sozialbericht-2022.pdf

(4) Fuhrhop D., „Verbietet das Bauen!“, oekom Verlag 2015

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Thommy Mewes
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