Plädoyer zur verbalen Abrüstung

Die Art und Weise, wie wir in der politischen Auseinandersetzung miteinander sprechen, entscheidet darüber, ob wir einander noch zuhören. Doch in der aktuellen Debatte und der Vielzahl der gleichzeitigen Diskussionen, insbesondere wenn es um Migration geht, scheint genau das immer weniger zu passieren. An die Stelle von Argumenten treten emotional aufgeladene Begriffe, die eher Gefühle steuern als Sachverhalte erklären. Wenn man sich ein wenig zurückzieht und die Diskussionen reflektiert, durchschaut man recht schnell diesen Mechanismus und erkennt, dass vieles, was heute als politische Diskussion verkauft wird, in Wahrheit eine rhetorische Eskalation ist, die kaum noch Raum zum Nachdenken oder zur Differenzierung lässt.

Ich möchte dies am Begriff „Zustrombegrenzungsgesetz“, der in jüngster Zeit in die politische Diskussion eingebracht wurde, ein wenig erläutern. Auf den ersten Blick wirkt dieses Wort sperrig und bürokratisch, doch die eigentliche Wirkung liegt auf einer anderen Ebene. Es kombiniert zwei Begriffe, die tief in der politischen Rhetorik verwurzelt sind.

„Zustrom“, ein Wort, das eine bildhafte, fast schon physikalische Metapher erzeugt. Jeder von uns visualisiert das sofort, vollkommen unbewusst. Ein Strom ist etwas Unkontrollierbares, etwas, das über Grenzen schwappt, das Druck erzeugt und das gestoppt werden muss, bevor es „überläuft“. Migration wird so nicht mehr als gesellschaftliches Phänomen beschrieben, sondern als eine bedrohliche Naturgewalt. Menschen, die aus individuellen Gründen ihre Heimat verlassen, werden in dieser Sprache zu einer anonymen Masse. Ergänzend dann das Wort „Begrenzungsgesetz“, das nach technokratischer Kontrolle und effizienter Verwaltung klingt, aber letztlich nichts anderes als eine restriktive Maßnahme beschreibt. In der Kombination erhält das Wort eine doppelte Wirkung: Es suggeriert, dass Migration in erster Linie eine Gefahr darstellt, die eingedämmt werden muss, und dass der Staat mit entschlossener Härte handeln müsse. So wird nicht mehr darüber gesprochen, welche differenzierten Maßnahmen notwendig sind, sondern es wird eine Grundstimmung gesetzt – eine, die Angst erzeugt und politische Alternativen von vornherein in die Defensive zwingt.

Dieser Begriff ist kein Einzelfall. Die politische Rhetorik hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend in eine Richtung entwickelt, die kaum noch Raum für sachliche Argumente lässt. Es geht nicht mehr darum, komplexe Probleme zu analysieren, sondern darum, mit Sprache gezielt Emotionen zu wecken. Begriffe wie „Masseneinwanderung“, „Asyltourismus“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ sind aus demselben Baukasten. Sie verzerren die Realität, weil sie ausschließlich bestimmte Narrative verstärken.

Solange unsere Sprache so funktioniert, ist eine sachliche Debatte unmöglich. Die Rhetorik ist längst selbst zum Thema geworden, und das führt zu einer weiteren gefährlichen Entwicklung: dem Framing. Diskussionen drehen sich immer seltener um die eigentliche Sachfrage, sondern darum, Begriffe zu setzen. Ein Muster ist das reflexhafte Abdriften in andere Themen. Wer über Migration spricht, bekommt als Antwort oft: „Aber was ist mit den deutschen Obdachlosen?“ oder „Warum kümmert ihr euch nicht um die maroden Schulen?“ Diese Vergleiche mögen berechtigte Probleme ansprechen, sie lenken aber gezielt davon ab, sich mit der eigentlichen Frage auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist eine Diskussion, die sich im Kreis dreht und in der niemand mehr das Gefühl hat, gehört zu werden. Die nächste Eskalationsstufe ist das zunehmend unkritische Posten von Quellen, meist ohne Einordnung oder Kontext, teilweise sogar ohne die eigene Meinung dazu zu artikulieren. Es wird ein einzelner Artikel, ein einzelner Tweet oder ein YouTube-Video geteilt, um eine Debatte für sich entscheiden zu wollen. Doch woher stammen diese Informationen? Wer hat sie mit welcher Absicht veröffentlicht? Welche Narrative verstärken sie? Zu oft werden bewusst polarisierende Beiträge geteilt, die nicht informieren, sondern nur bestehende Meinungen bestätigen sollen. Dadurch entstehen Echokammern, in denen sich Positionen gegenseitig weiter aufschaukeln, anstatt ins Gespräch zu kommen.

Aber wir brauchen den Austausch, in unserer aktuellen Situation dringender denn je zuvor, aber dieser Austausch gelingt nur, wenn wir unsere Sprache bewusst hinterfragen. Es geht nicht darum, sprachliche Regeln aufzustellen oder Worte zu verbieten – es geht darum, sich der Wirkung von Begriffen bewusst zu sein und ihnen nicht blind zu folgen. Wer wirklich verstanden werden will, sollte nicht nach den lautesten, sondern nach den treffendsten Worten suchen. Wer überzeugt ist, dass die eigene Position richtig ist, sollte den Mut haben, sie mit Argumenten zu verteidigen – nicht mit Parolen.

Ansonsten bleibt am Ende bleibt nicht die beste Lösung übrig, sondern die lauteste.

de_DEDeutsch