Gestern noch ein Skandal, heute Regierungspolitik

Niemand hat es kommen sehen

Jahrelang wurde gegen jede Reform der Schuldenbremse Stimmung gemacht. Wer Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung oder Verteidigung forderte, galt als unseriös, als jemand, der künftigen Generationen eine untragbare Schuldenlast aufbürden wolle. Besonders die GRÜNEN und die SPD mussten sich anhören, sie hätten keinerlei Plan von Finanzpolitik und verstünden rein gar nichts von wirtschaftlicher Vernunft. Die Union und die FDP inszenierten sich als letzte Verteidiger der fiskalischen Stabilität – mit aller Härte. Und jetzt? Jetzt setzen CDU, CSU und SPD fast wortgleich um, was sie zuvor als unverantwortlich gebrandmarkt haben. Die Schuldenbremse bleibt nominell unangetastet, doch neue Sondervermögen werden geschaffen, Milliardenbeträge in ungeahnter Höhe werden ausgelagert, Investitionsspielräume plötzlich neu definiert. Dieselbe Politik, andere Absender.

Ohne jede Scham, ohne jedes Eingeständnis

Während der letzten Legislatur wurde so getan, als sei jeder finanzpolitische Spielraum bereits bis zum Anschlag ausgereizt. Als seien Investitionen in Schienen, Straßen, Krankenhäuser, Militär oder erneuerbare Energien schlichtweg nicht finanzierbar. Man müsse eben Prioritäten setzen. Und diese Prioritäten bestanden darin, notwendige Infrastrukturprojekte auf die lange Bank zu schieben, Digitalisierung als Luxusproblem abzutun und Länder sowie Kommunen finanziell im Regen stehen zu lassen. Jede Debatte über eine Reform der Schuldenbremse wurde als unverantwortlich abgewürgt. Und jetzt? Plötzlich geht es. Plötzlich können Rüstungsausgaben aus der Schuldenbremse ausgenommen werden, als wäre Verteidigung ein separates ökonomisches Universum. Plötzlich gibt es 500 Milliarden Euro (500!) für Infrastruktur – für genau die Projekte, die zuvor als unbezahlbar galten. Plötzlich erhalten auch die Länder neue Kreditspielräume, obwohl genau das noch vor wenigen Monaten als politischer Tabubruch galt.

Die Realität war nie das Problem, das Problem war, wer die Vorschläge gemacht hat

Denn genau das hatten SPD und GRÜNE jahrelang gefordert – nicht aus einer Laune heraus, sondern aus purer Notwendigkeit. Wer den Zustand der deutschen Brücken kennt, die Digitalisierung in den Schulen oder den Investitionsstau bei der Bahn, wusste längst, dass die Schuldenbremse in ihrer bisherigen Form ein Problem war. Doch die Union brauchte ein einfaches und eingängiges Narrativ, um sich gegen jede Änderung zu stemmen. Also wurden genau diese Vorschläge mit maximaler Polemik abgewehrt, als unverantwortlicher Linksrutsch diskreditiert. Statt sachlicher Debatte gab es platte Reflexe, statt ernsthafter Auseinandersetzung einen Wahlkampfmodus, der über Jahre lief. Jetzt, da sich politische Mehrheitsverhältnisse geändert haben, tut die Union so, als wäre all das eine neue Erkenntnis, als habe sich die Welt über Nacht gewandelt. Dabei hat sich nur eines verändert: die Partei, die nun diese Politik umsetzt.

Aber es interessiert niemanden

Das alles ist nicht neu. In vier Jahren wird erneut behauptet werden, dass Investitionen nicht finanzierbar seien. Dass Reformen der Schuldenbremse unseriös seien. Dass es keine Alternativen gebe. Und es wird wieder funktionieren. Weil es immer funktioniert. Weil Erinnerung in der Politik ein oft erstaunlich kurzes Haltbarkeitsdatum hat. Weil es nicht um die Sache geht, sondern um die Macht, um Deutungshoheit, um politische Taktik. Und weil es, am Ende des Tages, niemanden zu kümmern scheint.

Aber am Ende zählt das Ergebnis

Ehrlich jetzt: Wenn nun Milliarden in Infrastruktur, in Verteidigung, in Digitalisierung fließen – dann nicht, weil die Union plötzlich klüger geworden wäre, sondern weil sie den politischen Wind drehen musste. Was noch vor wenigen Monaten als unverantwortlich galt, ist nun Regierungslinie. Was als finanzpolitischer Irrweg gebrandmarkt wurde, ist nun alternativlos. Das zeigt, worum es wirklich ging: nie um ökonomische Vernunft, nie um die Wahrheit – sondern nur um Wahlkampf. Das einzig Gute daran? Die Vorschläge der GRÜNEN und der SPD waren also doch ziemlich gut. Schade nur, dass es erst Jahre der Blockade, des Populismus und der Heuchelei brauchte, um dorthin zu kommen, wo wir längst sein könnten.

de_DEDeutsch
Thommy Mewes
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