Tacheles von Thommy #03

Jugend ohne Raum?

Gestern Abend hatte ich die Ehre, an einer Veranstaltung teilzunehmen, die mich nachhaltig beeindruckt hat: Ein Speed-Debating mit Jugendlichen aus Erftstadt. Als GRÜNE waren wir und andere Parteien eingeladen, mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen, um ihre Ärgernisse, Sorgen und Wünsche zu hören. Es war ein offener, ehrlicher Austausch, bei dem ich bestätigt bekommen habe: Wir müssen erheblich mehr für unsere Jugend tun.

Ein Hauptthema war die drohende Schließung des Jugendtreffs in Lechenich aufgrund der Haushaltssituation der Stadt. Diese Schließung wäre verheerend. Die Argumente, die im Jugendhilfeausschuss vorgebracht wurden, sind aus meiner Sicht nicht nur falsch, sondern zeugen von einer Arroganz, die schlichtweg die Lebensrealität vieler Jugendlicher ausblendet. Zu behaupten, dass es in Erftstadt aufgrund des hohen Lebensstandards keinen Bedarf für Jugendarbeit wie in anderen Städten gibt, zeigt eine erschreckende Ignoranz gegenüber den Herausforderungen, mit denen viele junge Menschen konfrontiert sind. Jugendtreffs/-zentren sind Orte, an denen Gemeinschaft entsteht, an denen Jugendliche unterstützt und gefördert werden – Orte, die wir dringend brauchen. Das Feedback der Jugendlichen war eindeutig: Die aktive Betreuung ist wichtig, gewünscht und wird ausnahmslos positiv gesehen, die Betreuenden werden als Teil der Familie gesehen, als Lehrer und stehen mit Rat und Tat zur Seite, sind Anlaufstelle für Probleme und win wichtiger Ankerpunkt. Dies sind die Orte an denen die Integration beginnt und gelingt.

Ich lese auch die Kommentare anderer, die stets nur nach Zahlen, Daten und Fakten fragen, ohne die Lebensrealität der Jugendlichen zu berücksichtigen. Solche Aussagen sind für mich Ausdruck von Ignoranz und Arroganz gegenüber den Jugendlichen und den Menschen, die sich um sie kümmern. Solche Ansichten ignorieren die komplexen Lebensrealitäten vieler Jugendlicher und verkennen den unschätzbaren Wert von Jugendarbeit, die nicht nur als Freizeitangebot, sondern als soziale Stütze dient. Ich selber sehe mich eigentlich als einen sehr rationalen Menschen an, aber es gibt Themen, bei denen man niemals anfangen darf, eine monetäre Investition gegen ein Ergebnis zu stellen. Niemals, denn wir reden von Menschen und Schicksalen.

Desweiteren wurde auch der mangelhafte öffentliche Nahverkehr innerhalb von Erftstadt kritisiert: Busverbindungen sind zu selten, unzuverlässig und schlecht vernetzt. Das Mobi-Angebot ist für viele zu teuer und nicht nutzbar, da nur mit EC-Karte bezahlt werden kann – eine Selbstverständlichkeit, die eben nicht für alle Jugendliche gilt. Es gibt keine öffentlichen Aufenthaltsmöglichkeiten, keine Tische oder Bänke, wo man einfach mal abhängen kann. Freizeitangebote außerhalb von Vereinen? Fehlanzeige. Und auch die Ferienprogramme, die immerhin eine freiwillige Leistung der Stadt sind, stehen auf der Kippe oder wurden bereits gekippt. Hier wird an der falschen Stelle gespart.

Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft, daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir müssen ihnen Räume bieten, in denen sie sich entwickeln können – physisch wie sozial. Wenn wir ihnen Orte wegnehmen, an denen sie sich treffen können, wenn wir an Angeboten sparen, die ihnen gehören, dann schneiden wir an den Wurzeln der Zukunft unserer Gesellschaft. Ich plädiere nicht nur für den Erhalt des Jugendtreffs in Lechenich, sondern auch für eine erhebliche Erweiterung des Angebots: Längere Öffnungszeiten der vorhandenen Einrichtungen, mehr Aufenthaltsmöglichkeiten im öffentlichen Raum und mehr aufsuchende Jugendarbeit.

Die gestrige Veranstaltung hat mir wieder einmal eindrucksvoll gezeigt: Die jungen Menschen in Erftstadt sind engagiert, sie wollen mitgestalten, sie wollen Gehör finden. Wir müssen ihnen diesen Raum geben. Es ist unsere Pflicht – als Stadt und als Gesellschaft – dafür zu sorgen, dass sie ihre Potenziale entfalten können und sie sich in unserer Mitte willkommen fühlen.